36th Season 2024
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"Spectrum Concerts Berlin im Kosovo"

   Fotografien von Adil Razali

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Spectrum Concerts Berlin im Kosovo Fotografien von ADIL RAZALI - Damm und Lindlar Verlag Berlin 2014 ISBN 978-3-9815294-4-9

 

Die Klänge der anderen von Isabel Herzfeld

 

Die Fotos von Adil Razali erzählen von einer Reise ins Kosovo, doch diese Reise geht in Wirklichkeit viel weiter. Sie führt ins Innere der Menschen, die sich dort begegneten, zu ihrer Schönheit und ihrer Kraft, zu ihren Bedürfnissen und Sehnsüchten, zu Vorurteilen und ihrer Überwindung, zu ungewöhnlichen Lern­ prozessen. In schlichtem Schwarzweiß entsprechen sie den Gegensätzen, die Land und Leute prägen, befassen sich in aller Stille mit Musik, werden manchmal förmlich zu Klang. Den Rahmen bilden Aufnahmen der Stadt Prizren, idyllisch in den Gebirgszug des Šar Planina ein­ gebettet, von dem eine spätantike Fes­tung herübergrüßt. Im Häusergewimmel lassen sich neben mächtigen Moscheen­ Kuppeln auch etliche Kirchtürme aus­ machen, Zeichen der immer noch – oder wieder – funktionierenden Multikulturalität dieser Stadt. Hierhin begleitete ich im Mai 2014 Mitglieder der Kammermusik­gruppe Spectrum Concerts Berlin, die an der Musikschule Lorenc Antoni Kurse und Konzerte gaben. Welchen Spaß und welche Ernsthaftigkeit die Einfühlung in eine jeweils andere Kultur erzeugen kann, ist auf Razalis Fotos deutlich zu sehen.

 

Sie leben von einer ganz besonderen Spannung, die uns an vieles erinnert: zwischen den materiellen Verhältnissen – dem baulichen Zustand der Musikschule, ihrer unzureichenden Ausstattung – und den Menschen, die sich in ihnen bewegen, leben und arbeiten. Die kahlen Flure mit ihren abgeblätterten Wänden, die Schul­räume mit den altmodischen Bänken und der kreidebedeckten Wandtafel, die dunkle Aula mit dem alten und verstimm­ ten Flügel – das alles erinnert mich an die Anfänge meiner eigenen Schulzeit im westlichen Deutschland Mitte der Fünfzigerjahre, als wir im Konservato­ rium auf ähnlich maroden Instrumenten üben mussten wie jetzt noch in Prizren. Das waren die Aufbaujahre nach einem schrecklichen, selbstverschuldeten Krieg, und Kultur war lebensnotwendig zur Selbstvergewisserung, danach noch ein Mensch zu sein. Auch Kosovo ist nach einem Krieg, dessen Wunden noch über­ all zu sehen sind, mit der Findung einer neuen Identität durch Entwicklung seiner unterschiedlichen Kulturen beschäftigt, auch eine Versöhnungsarbeit. Besonders die jungen Menschen brauchen – bei extrem hoher Jugendarbeitslosigkeit – Perspektiven, Wertschätzung und eine Öffnung zu Europa und zur Welt.

 

Auf Razalis Fotos scheinen hinter dem Charme und dem Lächeln dieser jungen Menschen die Armut ihrer Umgebung und ihre schwierigen Ausbildungsbedingungen bedeutungslos zu werden. Ihre Gesichter sind von einer unglaublichen Offenheit, Neugier, Herzlichkeit, Begeisterungsfähig­ keit, ob sich hier junge Geigerinnen stolz mit ihren Instrumenten präsentieren oder man kaum über zehn Jahre alten Buben beim Klarinettespielen zuschaut, die man eher beim Fußballspiel auf der Straße vermuten würde. Wir sehen, wie konzent­ riert in den Unterrichtsstunden gearbeitet wurde, aber auch, wie freundschaftlich die Atmosphäre zwischen Dozenten und Studenten war. Der Klarinettist Lars Wou­ ters war sich dabei nicht zu schade, auch Oboisten, Flötisten und Saxophonisten zu unterrichten und für Prizren exotische Klänge wie einen Cha­Cha­Cha oder gar den Radetzkymarsch mit Akribie und großer Geduld einzustudieren. Ähnliches vollbrachte Frank Dodge, der mit dreizehn Streichern Mozarts Kleine Nachtmusik aufführte. Schüler ganz unterschiedli­ cher Altersstufen und unterschiedlicher Vor-aussetzungen in so kurzer Zeit zu so einheitlichem Spiel zusammenzubringen, das war schon eine besondere Leistung.

 

Mit welchem Schwung und welcher Verve gespielt wurde, das können wir hier nicht hören, aber doch von den Bildern ablesen. Erfreulich, wie auch der Unterricht durch Naomi Niskala und Alexander Sitkovetsky das Niveau in kurzer Zeit steigerte. Doch ging es nie um Leistung als Selbstzweck, Konkurrenzdenken oder Vergleiche mit irgendwelchen westlichen Musikschul­ absolventen. Das Wichtigste war immer die Freude an der Musik, gemeinsames Musizieren, Begegnung und Austausch. Nachdrücklich ist hier zu sehen, welches Potenzial dieses kleine südosteuropäische Land zu bieten hat, zu dessen Entfal­tung die Spectrum Concerts Berlin einen kleinen, aber wichtigen Beitrag geleistet haben.

 

Isabel Herzfeld

Albanische Uebersetzung (Suzana Buehler)
Albanian Translation.pdf
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